Überflutet von Versprechen

Warum Nachhaltigkeit ohne ehrliche Kommunikation nicht funktioniert.

In den letzten Jahren durfte ich der Liebe folgend viel Zeit auf einer entlegenen Insel mit rund 8.000 Einwohner:innen verbringen. Ein Ort, der auf den ersten Blick fast unberührt wirkt. Und doch lagen sie dort jeden Tag vor mir am Meer – die Hinterlassenschaften unserer Zivilisation, angeschwemmt aus aller Welt. Komischerweise fühlte man sich dadurch auch ein bisschen weniger allein. Der Wunsch nach Verbindung in uns kommt nicht von ungefähr. Er hat seinen Ursprung darin, dass wir tatsächlich mit allem verbunden sind.  

Ob diese Tatsache damals bei der Wahl meines Agenturnamens unterbewusst eine Rolle gespielt hat? Möglicherweise. Adnexo kommt vom lateinischen adnexere, das "verbinden" bedeutet.

Die Arbeit in der Kommunikationsbranche ähnelt einem Tag am Strand in der Hinsicht, dass wir täglich eine Flut erleben. Nur dass die Wellen aus Statements und Versprechen bestehen: klimaneutral, grün, nachhaltig. Und irgendwo dazwischen ein paar wirklich ernstgemeinte Bemühungen, die oft im Grundrauschen aus Superlativen, Stockfotos und Fantasiesiegeln untergehen.

Die EU-Kommission hat schon 2020 festgestellt, dass über die Hälfte der untersuchten Umweltclaims vage, irreführend oder unbegründet sind. Kein Wunder, dass nur 30 Prozent der europäischen Online-Konsument:innen Unternehmen glauben, wenn sie sagen, sie wollen dem Klimawandel entgegegenwirken. Wir haben also eine kuriose Doppelbewegung:

  • Auf der einen Seite Marken, die plötzlich alle Nachhaltigkeit versprechen.

  • Auf der anderen Seite Menschen, die diesen Versprechen immer weniger trauen.

Dazwischen: wir Kommunikationsmenschen. Mitten im Spannungsfeld zwischen ehrlichem Wandel, Greenwashing und KPIs.

Die gute Nachricht: Menschen wollen nachhaltiger handeln und rund 72 Prozent der Konsument:innen sind auch bereit dafür mehr zu bezahlen, also persönliche Opfer zu bringen. In diesem Wandel ist Vertrauen die wertvollste Währung und Kommunikation das System, das sie in Umlauf bringt. Marketing dient nicht mehr nur der Profitsteigerung, sondern wird Teil der Infrastruktur, die unsere Gesellschaft zusammenhält – oder weiter spaltet.

Kann Kommunikation die Welt retten? Nein. Aber sie entscheidet mit, ob wir sie überhaupt noch retten wollen. Sie formt unsere inneren Bilder, macht komplexe Zusammenhänge verständlich und schafft neue Normen. Wenn du in dieser Branche arbeitest, hast du mehr Macht, als dir vielleicht lieb ist. Du kannst mitentscheiden, ob:

  • sich die nächste Generation an "Flugscham" oder an "Zugliebe" gewöhnt,

  • wir weiter mit Jetzt schnell noch sichern! getriggert werden oder lernen dürfen, was wir wirklich brauchen,

  • Nachhaltigkeit ein nerviges Pflichtthema bleibt oder zur spannendsten Innovationsgeschichte unserer Zeit wird.

Diese Verantwortung trifft genauso alle, die auf Unternehmensseite sitzen: Du kannst entscheiden, ob eure Nachhaltigkeitskommunikation nur ein schöner Jahresbericht ist oder ein ehrliches Gesprächsangebot an Mitarbeitende, Kund:innen und Partner:innen.

Ich glaube an Kommunikation, die erklärt statt zu beschönigen, die Fehler als Lernschritte sichtbar macht und ihre Empfänger:innen ernst nimmt.

Und warum? Blanker Überlebensinstinkt. Denn am Ende retten wir nicht "die Welt".

Diese Kugel aus Metall, Gestein und Sauerstoff hat schon Schlimmeres überstanden als die Menschheit. Wir retten uns und unsere Fähigkeit, in Verbindung zu bleiben: miteinander, mit der Realität und uns selbst. 

Carina Amali

beschäftigt sich mit nachhaltiger Kommunikation und der Frage, wie Marketing mithelfen kann, die Welt zu verbessern. Mit Text und Design unterstützt sie Unternehmen bei der ehrlichen Darstellung ihrer nachhaltigen Ausrichtung. Als diplomierte Resilienztrainerin bringt sie Know-how für eine achtsame Mitarbeitermotivation in ihre Beratungen und Workshops ein.

Bildquellen: Portrait Michaela Grabner; Sujetfoto unspalsh Marija Zaric und unsplash 2h media

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So ein komisches Rad!