So ein komisches Rad!
Für mehr Sachlichkeit in der Lastenrad-Debatte. Ein Kommentar.
Ich habe eine Theorie über die Welt, unsere Gesellschaft und über Lastenräder, und sie geht so:
Wenn ich Kommentare in den sozialen Netzwerken zu Artikeln, in denen es um Lastenräder geht, lese, habe ich das Gefühl, ich werde demnächst erschossen, wenn ich mich irgendwo als Lastenradfahrerin oute.
Das Freundlichste, was in diesen Kommentarspalten passiert, ist ein Hinweis auf Kindeswohlgefährdung.
Ansonsten scheinen dort Lastenräder an vielem schuld zu sein: vom Sterben der Innenstädte bis zur Spaltung der Gesellschaft.
Wenn ich mit meinem Lastenrad durch meinen Wohnort in Oberösterreich fahre, einer kleinen ländlichen Speckgürtelgemeinde, dann sind ausnahmslos alle Menschen nett zu mir.
Fast jedes Mal werde ich angesprochen. Die Menschen, die mich ansprechen, sind alt oder jung, tragen Anzüge oder Blaumänner, schöne Kleider oder Jogginganzüge, sind unterschiedlichen Geschlechts und Herkunft – und den Wahlergebnissen meiner Heimatgemeinde nach müssen statistisch betrachtet sowohl FPÖ- als auch Grün-Wähler*innen darunter sein.
Was für ein tolles Rad das denn sei, wo ich es gekauft hätte, ob es einen Motor habe, ob sich das am Land denn wirklich lohnen würde, ob wir auch ein Auto hätten, wie viel es gekostet habe, wie viel da reinpasse. Alle sind freundlich und interessiert. Kinder wollen mitfahren. Nur manchmal sagt ein Kleinkind (und wir wissen alle, wie konservativ Kleinkinder sind): Was ist denn das für ein komisches Rad?
Doch niemand wirft mir vor, dass ich eine überprivilegierte (Link), im Weg herumstehende Bobo-Mutter bin, die ihr Klimabewusstsein nur heuchelt und deren Fahrradfahrerei nur Virtue Signalling sei (Link). Im Gegensatz zu den Zitaten manch konservativer Politiker*innen und Artikeln in deutschsprachigen Feuilletons, in denen jedes Klischee, das das Thema hergibt, ausgearbeitet werden. Sie befeuern eine diffuse Wut aufs Lastenrad.
Diese Diskrepanz zwischen der Realität im Internet, Clickbait-Journalismus und der Wahrnehmung der Welt im eigenen Alltag wurde schon oft beschrieben.
Der Autor Rutger Bregman beschreibt in seinem Bestseller „Im Grunde gut“ sehr ausführlich, warum wir denken, dass die Menschheit schlechter und bösartiger ist, als sie ist.
In meinem Alltag als Lastenradfahrerin sehe ich diese These bestätigt.
Das Lastenrad ist ein merkwürdiges Kulturkampfthema geworden, an ihm lässt sich herrlich ablesen, wie emotionalisiert und sinnlos Debatten ums (Lasten)Radfahren oft geführt werden. (Stichwort: Nibelungenbrücke)
Gleichzeitig gibt es für die Lastenradhysterie wenig in der Realität verankerte Hintergründe. In einem Artikel für das deutsche Onlinemagazin Riffreporter schreibt die Journalistin und Fahrradexpertin Andrea Reidl, das Lastenrad habe das Fahrrad als Feindbild der Konservativen abgelöst. Tatsächlich seien Lastenräder aber auf deutschen Straßen mit etwas über einer Million Exemplaren immer noch ein Randphänomen.
Für Österreich lassen sich diese Zahlen nicht genau erheben, fest steht, dass in den letzten Jahren über 10.000 Lastenfahrräder hinzugekommen sind. Der VCÖ zitiert eine Studie, nach der 29 Prozent der Bevölkerung in städtischen Gebieten gerne ein Lastenrad nutzen würden, am Land 19 Prozent. Ausleihen würden sie sich ein Lastenrad, wenn der Standort in fünf bis zehn Minuten zu Fuß erreichbar wäre.
Von so einer Zugänglichkeit kann man wohl im Moment trotz Lastenradförderungen und immer mehr Verleihmöglichkeiten nur träumen.
Die launigen Überschriften aus den Medien („Das Gutgefährt“ profil, „Bobo-SUV“, Standard) haben eben auch nicht ganz unrecht, das Lastenrad ist auch ein Statussymbol, an dem sich Markenbewusstsein und Lifestyleentscheidungen abzeichnen. Wie ein Auto eben. Von seinem Potential, ein klimafreundliches Verkehrsmittel zu sein, soll das aber nicht ablenken.
Tatsächlich sind auch meine Möglichkeiten begrenzt. Ich schaffe kurze Wege des Alltags, die man hier üblicherweise mit dem Auto fährt, auf die Bundesstraße traue ich mich nicht. Das ist mir zu gefährlich – hier fehlt einfach zu viel Infrastruktur für Radfahrende.
Aber ich fahre weiter und freue mich über die freundlichen Menschen, mit denen ich ins Gespräch komme, jenseits der Ideologien.
Anna Mayrhauser
ist freie Journalistin und Redakteurin. Zuletzt hat sie das Onlinemagazin „tag eins“ geleitet, fünf Jahre lang war sie Chefredakteurin des Missy Magazines. Nach 11 Jahren in Berlin lebt sie heute wieder in Oberösterreich. Am liebsten schreibt sie über Kultur und Gesellschaft.
Bildquellen: Titelbild unsplash (Markus Spiske), Symbolbilder Text unsplash (Mika Baumeis & Bernhard), Portrait Severin Wurnig

