2040 - Rückblick ins Kuriositätenkabinett der Klimapolitik
Wie es wohl wäre, in den 2040er Jahren nach einer gelungenen Transformation auf das Kuriositätenkabinett der österreichischen Klimapolitik zurückzublicken?
Zugegeben, mit den Jahren entwickelt man als jemand, der Klimaschutz zu seinem Beruf gemacht hat, eine dicke Haut, aber auch viel Geduld. So manche verdrehten Schwurbeleien über den anthropogenen Treibhauseffekt (ja, schon geringe Konzentrationen von Treibhausgasen, wie CO2, haben eine große Wirkung auf den Strahlungshaushalt der Erde) und die uninformierte „Aber-China-soll-doch-zuerst-Ausrede“ sind mir so geläufig, dass ich sie mittlerweile fast liebgewonnen habe.
Ich kann auch nachvollziehen, dass man den eigenen Lebensstil nicht ändern und Konsumgewohnheiten schützen möchte. Weil es bequem ist. Doch die Kosten unseres Nichthandelns sind teurer als Investitionen in Klimaschutz und Anpassung. Viel teurer sogar. Warum nicht Milliarden an Euros in echte Alternativen investieren, von denen wir alle profitieren können, anstatt ein fossiles Wirtschaftssystem zu retten, dass Ungleichheiten erzeugt und natürliche Ressourcen verschwendet?
Meine Antwort: Ja, das wäre mutig! Ich persönlich wünsche es mir, aber es gibt gesellschaftliche Gruppen und politische Kräfte in Österreich und andernorts, die das nicht wollen und zu verhindern wissen. Es sind dies reaktionäre, konservative und rechtspopulistische Kräfte und Opportunisten. Sie befeuern derzeit einen „Klima-Backlash“ in den USA und in Europa und sind ganz erfolgreich damit. Gefühlt vergeht kein Tag, an dem nicht an den Grundfesten des Green Deals gehörig gerüttelt, ein Rückwärts- statt Vorwärtsgang eingelegt, Regeln für klimaneutrales Wirtschaften verschleppt, Klimaforschung diffamiert, Klimaförderungen „optimiert“ und so zum Opfer von Entbürokratisierung werden.
Um selbst dabei nicht ganz zu verzweifeln und diese reaktionäre Phase durchzuhalten, stelle ich mir vor, dass wir uns in den 2040er Jahren von diesen Widerständen befreit haben und ein klimafreundliches Leben in Österreich real geworden ist. Haben wir erst die Klimatransformation strukturell verankert, so wäre dann auch Zeit, zurückzublicken. Und uns an jene zu erinnern, denen nichts perfide oder gar zu blöd war, um eine sicherere Zukunft für unsere Kinder und Enkelkinder zu verhindern. Dann werfen wir erschöpft vom ständigen Überwinden von Hindernissen, aber glücklich, über die gewaltige Leistung an einer historisch beispiellosen Transformation mitgeholfen zu haben, einen nach Erklärungen suchenden Blick in das Kuriositätenkabinett der österreichischen Klimapolitik. Es gibt darin genug zum Schmunzeln, auch zum Kopfschütteln, und wir werden uns verbittert über vergebene Chancen ärgern (wie z.B. ein wettbewerbsfähiger Frontrunner einer neuen wirtschaftlichen Ordnung, statt ein gestrandeter Industriestandort mit reicher Geschichte zu sein). Gut möglich, dass wir bedauern werden, wie viel unternommen wurde diese Zukunft zu verhindern und andere es viel besser gemacht haben.
Hier fünf Geschehnisse aus dem Kuriositätenkabinett:
Der damalige konservative Bundeskanzler, Karl Nehammer, behauptet im Jahr 2022 in der Sendung „ORF-Sommergespräch“, dass Österreich ein „Klimamusterland“ sei und auch ohne Klimaschutzgesetz erfolgreich das Klima geschützt hätte und international gut dastehe. In Wahrheit ist Österreich, was die Reduktion von Treibhausgasen seit 1990 im EU-Vergleich betrifft, nur mittelmäßig unterwegs. Anstatt für echten Klimaschutz zu sorgen, wurde kürzlich in einem geleakten Entwurf des Klimaschutzgesetzes bekannt, dass das ÖVP geführte Umweltministerium eine Steuerungsgruppe einrichten wird, um teure Klimaschutz-Zertifikate aus dem Ausland zu kaufen.
In einer Aussendung im Jahr 2024 hat die verschwörungstheoretische MFG gegen das Klimaneutralitätskonzept der Stadt Linz gewettert und es als Phrasendrescherei abgetan, obwohl es unter wissenschaftlicher Begleitung entwickelt wurde. Ich betrachte es gern als eine Auszeichnung, dass eine meiner früheren Arbeiten von der MFG verrissen und instrumentalisiert wurde. Selbst das gigantische Leitprojekt zur klimaneutralen Stahlerzeugung „greentec steel“ mit einem Investitionsvolumen von 1,5 Mrd. Euro des voestalpine AG Konzerns wurde in derselben Aussendung als eine große Lüge dargestellt. Aluhut und Zukunftsangst reichen sich die Hand.
Der FPÖ-Verkehrslandesrat und LH-Stellvertreter, Udo Landbauer, sprach sich 2024 im Rahmen der Kampagne „Autofahrer: belohnen statt bestrafen“ für die Abschaffung der CO2-Steuer, die Senkung der Mineralölsteuer und den Ausbau der Straßeninfrastruktur aus. Auf der Website der Kampagne wird sogar von einer „CO2-Strafsteuer“ gesprochen, um in der heimischen (Land-)Bevölkerung gezielt Stimmung gegen eines der wirkungsvollsten Klimaschutzinstrumente zu machen. Passend dazu die Aussage von FPÖ-Verkehrssprecher, Christian Hafenecker, aus dem selben Jahr, dass der Nationale Klima- und Energieplan von ÖVP und Grünen „die Österreicher in die Armut“ treibe. Diese und andere Unsinnigkeiten entspringen der FPÖ-Erzählung vom „Klima-Kommunismus“. Dieser würde den „Wohlstand im eigenen Land ruinieren und Arbeitsplätze gefährden“, wie FPÖ Bundesparteiobmann, Herbert Kickl, 2023 während einer FPÖ-Klausur in Salzburg erläuterte. Gruselig sich vorzustellen, wie das ohnehin bescheidene klimapolitische Leadership in Österreich begraben werden würde, käme dieser als Bundeskanzler mit seiner Gefolgschaft an die Macht.
Zuletzt möchte ich aber auch noch, um ein besonders exotisches Leihexponat anzusprechen, einen kurzen Ausflug ins Mutterland der Klimaleugner*innen wagen: in die USA unter der gegenwärtigen zweiten Trump-Präsidentschaft. Das US-Energieministerium hat dieses Jahr einen Regierungsbericht mit dem verräterischen Titel „A Critical Review of Impacts of Greenhouse Gas Emissions on the U.S. Climate“ präsentiert, darin mehrere Klimaforscher*innen zitiert, aber deren Arbeiten bewusst falsch wiedergegeben. Diese wehrten sich öffentlich. Ziel des Lügenberichts ist, den politischen Kampf gegen die Klimakrise weiter zu schwächen. Es bleibt abzuwarten, ob es eine derartige niederträchtige Propaganda auch in Österreich einmal geben wird, oder ob wir dafür ein zu kleines Land sind. Zum Glück wurde vor kurzem der seriöse und wissenschaftlich sorgfältig erarbeitete Zweite Österreichische Sachstandsbericht zum Klimawandel (AAR2) veröffentlicht. Es würde etwas dauern, den auf 600 Seiten zusammengefassten Wissensstand zu verdrehen, selbst mit KI-Einsatz.
Ich frage mich: sind wir längst im postmodernen Kulturkampf angekommen oder erleben wir gegenwärtig das letzte verzweifelte Aufbäumen der Gegner*innen vor dem Durchbruch der Transformation? Ich hoffe letzteres, weil jeder nicht weiter notwendige Eintrag ins Kuriositätenkabinett der österreichischen Klimapolitik ein Gewinn für die Gesellschaft in ihrer Breite wäre. Und eine Schonung meiner Nerven.
Oliver Schrot
ist Gründer von Zwanzigvierzig e.U., begleitet Unternehmen als auch Städte bei Klima- & Transformationsfragen und setzt eigene Projekte um. Er ist promovierter Geograph und zertifizierter Politikberater. Er lebt in der ländlichen Gemeinde Alkoven nahe bei Linz.
Bildquellen: Sujets: unsplash Ed Wingate & Hulki Okan Tabak , Portrait: Dworschak Stadt Linz