Die Stadt ist nicht für alle gleich heiß
Warum jeden Tag in die Grottenbahn gehen keine Lösung für die Klimakrise ist – aber trotzdem eine gute Idee. Ein Kommentar.
Eine Zeit lang habe ich an einer stark befahrenen Durchzugsstraße gelebt.
Vor allem im Sommer war das sehr anstrengend.
Draußen hatte es 36 Grad, die Lastwagen bretterten vorbei, kein Balkon. Nicht einmal der große Park gleich um die Ecke war für mein Kleinkind und mich damals eine Ausweichmöglichkeit – weil die für mein Kind damals interessante Sandkiste zu der Tageszeit, zu der wir sie brauchten, in der prallen Sonne im sonst so schattigen Park lag. Durch die großen Fenster in der Küche, konnte ich über die Dächer der Stadt sehen, ein Anblick, den ich sehr genoss. Doch leider war es schwer, den Raum ohne Außenjalousien zu verdunkeln. Unsere Küche war an heißen Sommertagen fast unbenutzbar.
Heute wohne ich in suburbaner grüner Nachbarschaft mit einer schattigen Terrasse nach Norden. So sehr ich vieles aus unserer alten Gegend vermisse – den Park, das Café um die Ecke, zehn Minuten Gehweg zu allem, was mein Leben schöner macht, vom Kindergarten bis zum Museum – die Sommer dort vermisse ich nicht.
Ich hatte die Wahl – ich konnte mir aussuchen, wo ich leben möchte, ob zentral in der Stadt oder in einer grünen und kühleren Gegend. Viele Menschen haben das nicht.
Studien zeigen immer wieder, dass ärmere Menschen von der Klimakrise und ihren Folgen anders und stärker betroffen sind, als reichere Menschen. Die Volkshilfe Österreich hat zum Beispiel in einer Studie ausgewertet, wie armutsbetroffene Familien unter Hitzewellen leiden.
Zwei Drittel der Befragten geben darin an, dass es in ihren Wohnungen so heiß wird, dass sie sich nicht mehr gerne darin aufhalten. In der Studie wird die Mutter eines Volksschulkindes zitiert: „Wir haben keinen Balkon, auf den wir ausweichen können. Wenn ich koche, heizt sich die Wohnküche noch mehr auf. Die Wohnung ist eigentlich zu klein und zu eng und dadurch auch zu heiß. Aber wir können uns nichts Größeres leisten.“ Dazu kommt, dass Geld für Besuche im Schwimmbad knapp sein kann; oder für bauliche Lösungen, wie eine Klimaanlage.
Hier zeigt sich: Die Folgen der Klimakrise betreffen nicht alle Menschen gleich. In diesem Zusammenhang fallen oft Wörter wie „Klimagerechtigkeit“ oder „klimasozial“. Aber was bedeutet das eigentlich?
Erst einmal die Erkenntnis, dass die Klimakrise und ihre Folgen eng mit Fragen von sozialer Gerechtigkeit verbunden sind. Auf einer globalen Ebene bedeutet das zum Beispiel, das jene Länder, die die größten Treiber der Klimakrise sind, nicht diejenigen sind, die am meisten von ihr betroffen sind. Aber auch – etwas kleiner gedacht – dass arme Menschen die Auswirkungen der Klimakrise mehr spüren als reiche, bzw. sich schlechter vor ihnen schützen können. Global, wie im lokal. „Klimagerechtigkeit“ als politisches Konzept, möchte die Folgen, Probleme, aber auch Lösungen in der Klimakrise weltweit gerecht verteilen. Das Wort „klimasozial“ bedeutet, dass Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammengedacht werden müssen – und das hat viele unterschiedliche Aspekte.
Das Projekt „Klimasoziales Linz“ etwa hält auf seiner Homepage fest: „Die Stadt Linz ist, wie andere Städte auch, stark von den zunehmenden Auswirkungen der Klimakrise betroffen, bspw. durch Hitzewellen oder durch den Mangel an Grünflächen. Das trifft besonders Menschen mit niedrigem Einkommen.“
Diese Entwicklung trifft Städte weltweit. Arme Menschen müssen in heißen Stadtvierteln leben, reiche Menschen könne sich aussuchen, wie sie leben wollen, ob zentral in versiegelten Innenstädten oder in grünen Stadtvierteln und Außenbezirken. Zu diesem Ergebnis kommt etwa eine Analyse der Wochenzeitung Die Zeit aus dem Jahr 2023, die sich die Hitzehotspots in 15 deutschen Großstädten angeschaut hat.
Besonders treffe das auf die Städte Essen, Nürnberg, Dortmund in Stuttgart zu, stellten die Autor*innen des Textes fest.
In Frankfurt, Hamburg oder Köln fand man hingegen keinen statistischen Zusammenhang zwischen Wohlstand und Mikroklima.
Vor kurzem hat sich die Berliner Tageszeitung taz für Berlin diese Frage gestellt. Dort sind die Ergebnisse einer großen Datenanalyse erschreckend klar: so sind etwa im Berliner Schulenburgpark-Kiez in Berlin-Neukölln 44 Prozent der Menschen arbeitslos oder leben von Transferleistungen. Die Oberflächentemperatur, das heißt, die Temperatur, die zeigt, wie heiß der Boden an einem bestimmen Ort werden kann, liegt in dem stark von versiegelten Flächen geprägten Viertel bei 39 Grad. Am Wannsee hingegen, einer Gegend, in der die Armutsquote besonders niedrig ist und wo es viele Grünflächen gibt, ist sie um ganze 11 Grad niedriger: Hier liegt sie bei 28 Grad. Natürlich gibt es auch in Berlin viele Graustufen. Aber insgesamt lässt sich festhalten: Reiche Menschen können sich entscheiden, wie viel Hitze sie aushalten können und wollen, arme nicht.
Aber wie ist das eigentlich in Linz? Direkt übertragen kann man diese Ergebnisse natürlich nicht. Städte sind unterschiedlich historisch und sozial gewachsen, jede hat ihre spezifischen Eigenheiten. Außerdem arbeiten die genannten Studien und Analysen der unterschiedlichen Städte mit unterschiedlichen Messdaten und Fragestellungen. Das macht sie schwer vergleichbar. Vor allem braucht man Daten. Die Stadt Linz stellt diese auch zur Verfügung.
So entwickelt sie gerade einen Hitzeschutzplan, um mit der zunehmenden Hitze in der Stadt umzugehen. Dieser beschreibt unter anderem welche Maßnahmen die Bevölkerung in Hitzewellen schützen soll und bietet Tipps, wie man mit der Hitze umgehen kann. Auch hat der Gemeinderat das „Anpassungskonzept Zukunft Linz“ beschlossen. Denn, so heißt es auf der Homepage der Stadt Linz dazu: „Die Zunahme von Hitzetagen und Tropennächten und das vermehrte Auftreten von immer länger andauernden Hitzewellen stellt insbesondere Städte und ihre Bewohner*innen vor große Herausforderungen. Es bedarf daher entsprechender Maßnahmen, um einem Verlust der Lebensqualität in Städten – und damit auch Linz – entgegenzutreten.“ Außerdem wurde ein Aktionsprogramm zur Klimawandelanpassung beschlossen. Das enthält unter anderem Maßnahmen wie Entsiegelungsprojekte, Bäume pflanzen, mehr Raum für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen, Sanierungen für Seniorenzentren und Krabbelstuben und die Errichtung von Trinkbrunnen.
Die ebenfalls von der Stadt Linz erarbeitete Risikokarte Hitze zeigt, welche Stadtviertel ein erhöhtes Risiko für Hitze haben. Sie soll zeigen, in welchen Gebieten der Stadt besonders viel Handlungsbedarf besteht, Maßnahmen für die Klimaanpassung zu treffen.
Auch hier zeigt sich, dass traditionell reichere Stadtviertel wie etwa der Pöstlingberg, St. Magdalena oder der Froschberg nur wenig betroffen sind. Besonders sanierungsbedürftig ist die Innenstadt. Und auch Gewerbeflächen in Urfahr oder in Industrievierteln sowie innenstadtnahe Viertel wie das Franckviertel, wo Mieten tendenziell niedriger sind.
Die Karte zeigt auch, wo besonders viele Menschen unter sechs und über sechzig Leben leben,
die von gesundheitlichen Folgen des Klimawandels besonders betroffen sind.
Interessante Einblicke bietet auch die Stadtklimaanalyse. Auf der Klimaanalyse Karte für das Linzer Stadtklima können Bewohner*innen nachschauen, welches Überwärmungspotential an ihren eigenen Wohnorten besteht. Die Gefahr starker Überwärmung betrifft vor allem die Innenstadt und von Industrie geprägte Viertel.
Orte, an denen es sich auch an sehr heißen Tagen gut aushalten lässt, listet die Karte „cooleslinz.at“ auf. Diese enthält viele nette Anregungen, wie Badeplätze, Parks, Kirchen und Museen. Viele davon sind auch ohne Eintritt zugänglich. Auch ist aufgelistet, ob die Orte barrierefrei erreichbar sind.
Solchen Karten gibt es auch in anderen Städten, zum Beispiel in Hamburg. Dort wurde die Karte „Kühle Orte“ herausgeben und auch kritisiert: Denn besonders für vulnerable Gruppen, wie obdachlose Menschen oder Senior*innen sei die Karte selbst, aber auch ein Teil der empfohlenen Orte, nicht leicht zugänglich. Auch in Linz finden sich einige Empfehlungen, die mit Eintritt verbunden sind. Während einer Hitzewelle jeden Tag in die Grottenbahn zu gehen, macht bestimmt Spaß, ist aber nicht sonderlich lebensnah. Auch ich mache das im Sommer gerne mit meinem Kind – aber ein Hinweis darauf, kann es nur eine Maßnahme von vielen sein – politisch wie strukturell.
Kurz nach unserem Auszug haben unsere ehemaligen Vermieter*innen übrigens hitzeabweisende Außenjalousien an den großen Küchenfenstern angebracht. Gut für unsere Nachmieter*innen! Aber alleine auf umsichtige Vermieter*innen zu hoffen, ist zu wenig.
Anna Mayrhauser
ist freie Journalistin und Redakteurin. Zuletzt hat sie das Onlinemagazin „tag eins“ geleitet, fünf Jahre lang war sie Chefredakteurin des Missy Magazines. Nach 11 Jahren in Berlin lebt sie heute wieder in Oberösterreich. Am liebsten schreibt sie über Kultur und Gesellschaft.
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